Herbert M. Hurka

Kunst in der Klinik

Bad Krozingen, Universitäts-Herzzentrum, 19.6.2016 

 

Als Marcel Duchamp begann, seine Readymades in Kunstausstellungen einzuschleusen, platzte förmlich die Realität in jene stillen Hallen, die bis zu diesem Zeitpunkt allein dem Abbild vorbehalten waren. Sicher, diese Attacke auf den Kunstbetrieb war in erster Linie als Provokation gedacht. Dies auch zurecht und fällig, während eines historischen Umbruchs, in dem sich großstädtische Lebensformen immer mehr durchsetzten, Wissenschaft, Technik und Massenmedien den traditionellen Künsten Malerei und Skulptur den Rang der Deutungsmacht abgelaufen hatten. Gleichzeitig aber trugen Duchamps Readymades der Tatsache Rechnung – ob das nur Nebeneffekt war, darüber lässt sich streiten – dass Waren, die von Massen gekauft werden sollen, die Sinne ansprechen müssen: das Auge, den Tastsinn, den Sinn für Balance, Harmonie – kurz: den ästhetischen Sinn. Seit Duchamps Revolte hat genau diese Ästhetik, die Ästhetik der Industriewaren, ungeahnte Fortschritte erfahren, so dass selbst das unauffälligste Alltagsobjekt designt ist, was nichts anderes bedeutet, als dass jedes der Objekte, mit denen wir täglich umgehen, einen mehr oder weniger großen Anteil genuiner Kunst enthält und transportiert. 

Von dieser Objektwelt lässt auch Elisabeth Bereznicki sich anziehen, und nicht nur das,   denn sie findet dort eine schier unerschöpfliche Ressource – nicht nur als Quelle der Inspiration, sondern ebenso als ein reiches Reservoir von Formen und Farben. Dabei sind es vor allem die gern  übersehenen, weil allzu praktischen, allzu handlichen, zuhandenen Dinge, für die die Künstlerin einen selektiven Blick entwickelt hat, um deren ästhetische Qualitäten heraus zu filtern und für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Bügeleisen, Rührgeräte, Möbelstücke und dergleichen mehr. 

Mit der Entgrenzung der Malerei, die in der Postmoderne sich von figurativen Genres bis hin zu allen denkbaren Formen der Abstraktion erstreckt, wo jeder und jede, die sich der Aufgabe zu malen stellt, sich in der einerseits günstigen Situation befindet, nämlich genau das machen zu können, was den eigenen Dispositionen und Begabungen am besten entspricht, sich andererseits aber auch dem Anspruch ausgesetzt sieht, seine Arbeit begründen zu müssen, dies nicht unbedingt verbal oder gar diskursiv, sondern logisch. Malen muss einer ästhetischen Logik folgen. Die entscheidende Frage also lautet: Wie findet man sein Motiv und wie entwickelt man seine unverwechselbare Malweise? Die künstlerische Selbstfindung und Selbstpositionierung erfordert zweifellos auch die Verortung in der Geschichte der Kunst, die Auseinandersetzung damit, welche Entwicklungen man von dort aufnimmt und  weiter verfolgt. Es erscheint jedenfalls naheliegend, dass Bereznickis Werke auf die von Duchamp in die Welt gesetzte Objektkunst referieren, wodurch die Künstlerin, wie man gleich sehen wird, ein interessantes Spiegelspiel in Gang setzt. 

Mit der Verpflanzung von Alltagsgegenständen in Ausstellungsräume hat sich, wie Boris Groys zurecht feststellt, die Kunstproduktion vom Machen, Kreieren, von der Handlung also  zum Blick hin verschoben. Um Gegenstände als Kunstwerke inszenieren zu können, sind sie nach ihren ästhetischen Potentialen, ihrer  Kunsttauglichkeit auszuwählen. Es ist genau diese Art der Blickschulung, zu der Elisabeth Bereznicki ihre Wahrnehmung immer sensitiver ausdifferenziert. Dies allerdings nicht, wie man vordergründig meinen könnte, um all diese schönen Dinge auch schön malen zu können, sondern um sich den Rohstoff ihrer Malerei zu sichern. Wenn der durch Duchamp ausgelöste Kulturschock darin bestand, Gebrauchsgegenstände aus ihrem Alltagszusammenhang in den Kunstkontext zu versetzen, sie also zu dekontextualisieren, so dreht die Künstlerin,  deren Werke wir  heute hier sehen, diese Geste wieder um in einer, wenn man so will, Dekontexualisierung zweiten Grades oder einem Spiegelspiel zwischen Malerei und Objektkunst. Damit schafft sie sich nicht nur eine Grundlage für ihre Bilder, sondern demonstriert auch die Unverwüstlichkeit der Malerei, deren Ende angesichts der vielen Kunstgenres, die sich  den Markt streitig machen, mit verlässlicher Regelmäßigkeit diagnostiziert wird. 

Darüber hinaus ist natürlich klar, dass die Künstlerin auch eine ganz direkte, unmittelbare Beziehung zu den Dingen hat, die sie sich aussucht, dass bei ihrer Auswahl nicht nur kunsttypische Dispositionen wie Form- und Farbgefühl vorherrschen, sondern auch echte persönliche Vorlieben wie Geschmacksurteile und, ja, ich sage einmal: eine gewisse Liebe zu all diesen Dingen, die sich in diesen Bilder überdeutlich widerspiegelt. Und wenn eben von der Unverwüstlichkeit der Malerei die Rede war, dann liegt der Grund dafür genau in diesem ganz persönlichen Zugang. 

Was bei der Skizzierung einer Form auf der Malfläche noch ganz klar ein Lampenschirm war, verwandelt sich unter der Malhand in eine blumenartige Glocke, das geometrische Bauelement eines Bauhaus-Möbels in eine Fläche für expressive Malgesten. Kein Platz für irgendwelche technischen Begrenzungen. Lasierend, pastos, mit sensiblen Verläufen oder in entschiedenen Bahnen und Feldern voneinander getrennt, vereinen sich auf diesen Bildern sämtliche Maltechniken zu in sich geschlossenen Bilduniversen. So offen der Raum ist, dem das Material entnommen wird, so hermetisch-dicht am Ende die Komposition. Vor allem aber entfesselt sich diese Malerei zu einem berauschenden Farbentaumel, in dem Farbintensitäten wie Rubinrot und  Kobaltblau – konterkariert von  heftigsten Gelbs   – das Auge förmlich anspringen. Wie reflektiert Bereznicki mit ihren Motiven verfährt, zeigen aber auch jene Partien, in denen schmutzigen Farben wie ein stumpfes Braun oder Braungrau zu den intensiven Farbwerten eine Balance herstellen. An diesen widerständigen Einsprengseln lässt sich vielleicht am besten beschreiben, worum es der Künstlerin geht: Nämlich nicht um eine Reproduktion des schönen Scheins, den die Waren uns so aufdringlich suggerieren wollen, denn das besorgt die Werbung ohnehin zur Genüge, sondern um autonome Kompositionen, in denen die Sujets sich in reine Malerei verwandelt haben.    

Wenn Bereznicki, wie sie selbst sagt, Leben in die Dinge bringen will, dann findet diese Aufladung nicht erst auf der Malfläche statt, denn die Voraussetzungen dafür liefern bereits die ausgewählten Objekte. Ihnen nämlich wohnt immer schon etwas inne, das sich während ihrer künstlerischen Verwandlung freisetzen lässt. Einer der Gründe liegt beispielsweise darin, dass Waren Produkte menschlicher Arbeit sind und in ihnen damit von vornherein Energie gespeichert ist – human power, wie man das heute gern nennt. Der wichtigere, weil kunstspezifischere Grund liegt natürlich in der Form und dem Material. Nicht zufällig dominiert bei den Fundstücken, die Elisabeth Bereznicki entweder sammelt oder fotografiert, das Plastik. Roland Barthes hebt seinen „Mythen des Alltags“ die Besonderheit des Plastiks hervor, indem er es zur einzig magischen Substanz der Moderne adelt, und doch ist es gleich weniger als eine Substanz als vielmehr die Idee ihrer Umwandlung, und weniger als ein Gegenstand als die Spur einer Bewegung. Kaum konkret, kaum richtig zu fassen, jedoch von einer totalen Wandlungsfähigkeit, dass es ebenso Putzeimer wie Schmuckstücke bilden kann, ja, so leicht zu verarbeiten und zu formen, dass die ganze Welt plastifiziert werden kann. Rein äußerlich behält es mit seinen weichen, aerodynamischen oft auch biomorphen Formen etwas Vages, Cremiges und Erstarrtes.

Wer sich wie Elisabeth Bereznicki auf  diese Materie ohne Eigenschaften einlässt, ist zugleich selbst in einen Verwandlungsprozess involviert, von vornherein vom Zauber der Metamorphose angesteckt, kann vielleicht gar nicht anders, als  diese fabelhaften Formen und Farben weiter zu verwandeln. In vergangenen Ausstellungstiteln wie „liquid society“ oder „Hybride Welten“ drückt sich genau diese Dynamik aus. „Flüssige Gesellschaft“ und eine Welt  aus lauter Kreuzungen. Wenn Objekte sich verflüssigen, ist einzukalkulieren, dass sich ihr Charakter bis zur Unkenntlichkeit verändert. Zur Vorgehensweise von Elisabeth Bereznicki gehört unter anderem, die Konturen exakt zu übernehmen und so dem Auge eine Chance zu lassen, dass es etwas wieder erkennt. Auf den Rätselseiten von Illustrierten gab es oft die sogenannten Suchbilder. Da war dann ein kopfstehendes Kaninchen oder ein drolliger Hund im unübersichtlichen Liniengewirr eines Gebüschs zu erkennen. Es brachte einem ein schnelles Vergnügen, wenn man die versteckte Figur entdeckte. Dieser rasche Lustgewinn wird durch die Ausschüttung von Dopamin verursacht – umgangssprachlich: ein Glückshormon, bei dem es sich um einen der wichtigsten Neurotransmitter handelt. Er erfüllt die biologische Aufgabe, uns immer dann zu belohnen, wenn uns etwas gelingt, damit wir auch weiterhin motiviert bleiben, Probleme anzupacken. Wenn man sich mit etwas Geduld auf diese Bilder einlässt und in einer auf den ersten Blick abstrakten Form, plötzlich einen   ganz bekannten Gegenstand entdeckt, dann erlebt man zu der üblichen Lust am Bilderanschauen noch dieses unerwartete Glücksgefühl. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen viel Freude mit den Bildern von Elisabeth Bereznicki.  

 

©hmh/6/16

 

Die Magie der Erscheinung

Dr. Christoph Schreier, Kunstmuseum Bonn

 

Wir kennen sie alle, die Gesichter und die Gegenstände, die uns in Elisabeth Bereznickis Bildern und Objekten begegnen. Schauen wir sie an, so identifizieren wir Bekanntes, kanonisiert zudem in einem Regelwerk von Gattungen, das für die dargestellten Menschen die Kategorie des ‚Porträts‘ und für die Objekte jene des ‚Stilllebens‘ bereithält. Und doch ist da etwas, was all die Schalen, Beistelltischchen, Blumenvasen und Flacons, die in Bereznickis Stillleben auftauchen, ungewohnt, ja fast befremdlich erscheinen lässt. Aus den vertrauten Funktions- und Darstellungszusammenhängen herausgelöst erfahren sie nämlich einen Bedeutungsverlust, der seine Pointierung in der grotesken Stapelung, der scheinbar willkürlichen Montage einander letztlich doch so fremder Dinge findet. Stets vor einem weißen Hintergrund wiedergegeben schweben sie, merkwürdig verschraubt, in einem inhaltlichen Nirwana, das nichts mehr mit der bedeutungsvollen Inszenierung des Alltäglichen zu tun hat, die wir aus der Tradition des barocken Stilllebens kennen. Im 17. Jahrhundert gestalteten Maler das große, um Sinnenlust und Vergänglichkeitgewissheit kreisende Welttheater aus den Versatzstücken der häuslichen Lebenswelt, so dass sich im Mikrokosmos des Vertrauten die ganze menschliche Existenz spiegeln konnte. Entsprechend liegt den Stillleben eines Pieter Claesz oder eines Willem Claesz Heda eine bedeutungsgesättigte Symbolik zu Grunde, die man in Bereznickis Gemälden vergeblich suchen wird. Auch wenn ihre Kunst – wie etwa die großformatigen, auf Markisenstoff gemalten ‚Bankette‘ zeigen (1) – durchaus von einer barocken Inszenierungslust getragen ist, dann verzichtet sie doch auf eine moralische Botschaft, auf eine in oder hinter den Erscheinungen verborgene Inhaltlichkeit. Solch eine Doppelbödigkeit ist ihr fremd, denn für ihre Malerei gilt letzten Endes die Apodiktik des ‚What you see is what you get‘.

Von daher spielen ontologische Fragestellungen in Bereznickis Schaffen keine Rolle, ihr geht es vielmehr um die Logik der Erscheinungen. Ihre Stillleben sind ästhetische Versuchsanordnungen in deren Rahmen Farben und Formen ihre malerische Sinnlichkeit entfalten können. Dies soll ein Beispiel belegen. Verwiesen sei auf eine Arbeit des Jahres 2013(2), die geeignet ist einige charakteristische Merkmale ihres jüngsten Schaffens zur Anschauung zur bringen. Seit 2008 benutzt Elisabeth Bereznicki weiß grundierte Alu-Dibond Platten, auf deren feste, druckresistente Oberflächen Ölfarbe, im wahrsten Sinne des Wortes „aufgetragen“ wird. Diese verbindet sich also nicht mit dem Malgrund und bewahrt dadurch ihre Materialität, wie das Bild insgesamt – jenseits aller illusionistischen Abbildlichkeit - als „Gemachtes“, als ästhetisches Konstrukt ausgewiesen ist. Einen deutlichen Hinweis hierauf liefern natürlich speziell die Farbmusterstreifen, die den Gegenständen unterlegt sind. Sie stellen die ungegenständlich-konkrete Basis für den Auftritt der Pokale, der Schalen und der Lampen, die sich auf dieser planimetrischen Grundlage zu einem Tanz der kreisenden Farb-Formen versammelt haben. Losgelöst von aller Bedeutung entfalten die Formen ihr koloristisch beschwingtes Eigenleben, für das die wiedergegebenen Objekte, die sich übrigens alle im Besitz von Elisabeth Bereznicki befinden und ihr solchermaßen als Motiv dienen können, eigentlich nur noch äußerer Anlass sind. (3) Nicht um das Wesen der Dinge, um ihr Sein, sondern um die Erscheinung geht es ihrer Kunst, was auch ein Blick auf die Folge der ‚Schnitte‘ bestätigt.

Diese Werkreihe geht den polyphonen Farbformbeziehungen der Stillleben unmittelbar voraus und entsteht ab dem Jahr 2003. Gestalterisch betrachtet handelt es sich um mit dem Skalpell ausgeführte Einschnitte in Siebdruckplatten, so dass diese Arbeiten, unter medialen Gesichtspunkten, eher dem Relief als der Malerei oder der Zeichnung zuzuordnen sind. Trotz ihrer gleichsam ‚physischen‘ Entstehungsbedingungen vergegenwärtigen sie aber eine zarte, filigrane Linienkunst in deren Rahmen Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs, wie etwa Tassen, aufscheinen. Sie sind der gestalterische Anlass für die flächigen, dunklen Rundformen, die die Werke beherrschen und ungleich präsenter wirken als ihre motivischen Vorbilder. Auf diese Weise kehren sich die Hierarchien um: die bildnerischen Erscheinungen gewinnen eine ästhetische Gültigkeit, die die Realien, die (dargestellten) Gegenstände faktisch verblassen lassen. Kennen wir das, wenn auch in anderer Form, nicht von Henri Matisse‘ ‚Rotem Atelier‘ (4)? Auch dort ist die Welt der Bilder ungleich realer als die der Stühle und Tische, die nur als immaterielle, gleichsam fleischlose Linienkonstrukte wiedergegeben werden. Solch eine Umwertung der platonischen Werte finden wir auch in Bereznickis Werk, denn auch für ihre Kunst gilt Goethes Sentenz, dass wir ‚allein am Abglanz das Leben haben‘(5).

Entsprechend treibt sie ihr Spiel um Schein und Sein, in dem die Rollen allerdings nicht immer so klar verteilt sind wie im Fall von Matisse. Während dieser im ‚Roten Atelier‘ ein Plädoyer für die Realität der Kunst abliefert operiert Bereznicki mit changierenden Realitätsebenen die sich zudem wechselseitig befragen. Nirgendwo wird das deutlicher als in den Porträts prominenter Medienstars,“die sie seit dem Jahr 2012 malt. Um Porträts handelt es sich insofern, als eine Wiedererkennbarkeit der Dargestellten gegeben ist. Und doch fehlt etwas Entscheidendes, der Blick hinter die Fassade dieser makellosen Gesichter der das Porträt zum Charakterbild macht. So gewährt Bereznicki den Tilda Swintons und Amy Winehouses dieser Serie zwar einen glanzvollen, ja strahlenden Auftritt, doch bleiben sie in ihrer kühlen Makellosigkeit und unkörperlichen Fragmentierung merkwürdig maskenhafte Erscheinungen, die nie die ikonische Präsenz erlangen, die Warhol seinen Stars verliehen hat. Eher verblassen diese flachen Ebenbilder gegenüber motivischen Details, denen Bereznicki eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat. Denn die reich modellierten Haare von Amy Winehouse und die Korallenkette Tilda Swintons scheinen sich - Dank der Individualisierungsleistung der Malerei – aus ihrer dekorativen Nebenrolle zu befreien, um selbstbewusst die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zu ziehen. Ob er sich von dieser malerischen Raffinesse verführen oder sich doch von dem sublimierten Starkult gefangen nehmen lässt, bleibt letzten Endes ihm überlassen. Bereznicki trifft hier keine Vorentscheidungen, da ihr malerisches Konzept weniger auf Aufklärung denn auf Vielfalt und sinnliche Verführungskraft setzt. Zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit angesiedelt fehlt ihrer Malerei jeder Dogmatismus. Für sie ist das Bild kein Ort der ästhetischen Belehrung, sondern ein Ort der Magie, eine Bühne, auf der Farben, Formen, alltäglich Banales wie spektakulär Berühmtes zusammentreffen und dort einen strahlenden Auftritt erhalten.

Auf solche theatralischen Wirkungen setzen nicht zuletzt auch ihre Objekte und Installationen, die seit dem Jahr 2006  entstehen. Zu nennen sind hier vor allem ihre ‚Leuchter‘ – strahlende Ereignisse sui generis – die Flohmarktfundstücke zu komplexen, im Raum schwebenden Skulpturen bündeln. Als Betrachter ist man erstaunt über die Formenvielfalt dieser Funktionsobjekte, berührt von der Erkenntnis, welche Strahlkraft vom alltäglich Vertrauten ausgehen kann. Dieser Aura kann man sich nur schwer entziehen und wenn man in die Lichtkegel tritt, dann mag man sich einen Moment so fühlen wie die Stars, die Bereznicki in ihren Porträts in die Aureole eines Lichtkranzes setzt. Auch sie sind vielleicht ganz irdische Wesen, die, aus unterschiedlichen Gründen, in das Rampenlicht der Aufmerksamkeit gelangt sind. Seit Warhol wissen wir, dass ein Jeder das Potential zum Star besitzt und Bereznickis Kunst führt uns vor Augen dass dies nicht nur für die Menschen sondern auch für Dinge gilt. Denn Dank ihrer klugen Bildregie und ihres virtuosen malerischen Könnens besitzt ihre Kunst eine seltene Transformationskraft, die Fähigkeit, dem Gewohnten den Glanz des Spektakulären zu verleihen.

 

 

 

Anmerkungen:

1. Elisabeth Bereznicki, Das Bankett unendlich, 2010, Öl auf schwarz-weiß gestreiftem Stoff, 120 x 1100 cm, Im Besitz der Künstlerin

2. Elizabeth Bereznicki, Tischsituation, Seite 34

3. Als unmittelbare Vorlage für ihre Gemälde dienen Elisabeth Bereznicki Kompositionsentwürfe, die sie am Computer vorbereitet

4. Henri Matisse, Das Rote Atelier, 1911, Öl auf Leinwand, 181 x 219 cm, Museum of Modern Art, New York

5. Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie zweiter Teil, in: Goethes Werke, Bd. 5, Hrsg. Eduard von der Hellen, Stuttgart/Berlin 1921, S. 156

Die Befreiung der Dinge

 

Malerei und Skulpturen und Elisabeth Bereznicki im Kunstverein Biberach

 

Womöglich stimmt es ja, was Lyall Watson in seinem Buch "Das geheime Leben der Dinge" schreibt, und es mag nicht ganz zufällig sein, wie sich die Dinge uns gegenüber verhalten. Was, wenn wir aus dem Haus gehen? Führen sie mitunter ein burleskes Eigenleben?

Begründen mitunter Wahlverwandtschaften, formieren sich zu hybriden Organismen, die jeden Sinn und Zweck im Einzelnen vergessen lassen - wie auf den Bildern von Elisabeth Bereznicki.Die Malerin setzt einen entschieden frechen Kontrapunkt zur altehrwürdigen Gattung "Stillleben". Still ist hier nichts, vielmehr hören wir es wirbeln und rumoren in der Farbe.  "Nature mort"? Beileibe nicht. Tot ist hier nichts und nichts Natur. Leben wächst ihnen allein aus der kombinatorischen Phantasie zu. Aus Farbe und Form! Keine Raupe nagt da am Geschirr, kein Nachtfalter umflattert den Parfümflakon, gemahnt auf das Ende aller irdischen Herrlichkeit.

Beretznickis Dinge haben keine Repräsentanz, kein spirituelles Dahinter, sind nichts als sie selbst und sich vollauf genug.

Für sich genommen sind sie nicht landläufig schön, auch wenn es der primäre ästhetische Reiz jedes Einzelnen ist, der die Malerin zu ihren "Gruppenportraits" inspiriert. Wie nicht anders vermutet, hat ein jedes sein Äquivalent in der Lebenswelt dieser Künstlerin. Natürlich, möchte man sagen.Dinge aus unterschiedlichsten Zeiten, die ihren Schülern an der Pädagogischen Hochschule Freiburg als Vorlage für zeichnerische oder malerische Studien dienen. Jedes für sich ein sprechender Stil- und Zeitzeuge, teils fest verankert im biographischen Kontext. Haargenau weiß sie, auf welchem Flohmarkt sie dieses oder jenes Objekt erstanden hat. Über manches ließe sich so einiges berichten. In der Ballung aber, im mehr oder weniger organischen Zusammenspiel, bleiben sie stumm, bewegen sich mitunter seltsam bedrohlich auf uns zu. Als hochgradig dynamische Ensembles. Man muss schon genau hinschauen, um ihre Formen klar zu unterscheiden; die jüngsten Bilder aus der Serie "Hybrid" tendieren deutlich zur Gestaltauflösung. Eine Volte also gegen unseren Wunsch nach Katalogisierbarkeit . Wenn Sie so wollen: Ein antiaufklärerischer Impuls. Durch Sortieren in die Setzkästen unseres Verstandes kommen wir dem Wesen der Dinge nicht nahe, wir befriedigen nur unseren natürlichen Ordnungssinn. Ohnedies geht es der Künstlerin nicht mehr ums Wesen, gar um ein platonisches Dahinter der Materie - ein "Ding an sich", sondern um die Erscheinung - das Wort "Oberfläche" klingt da allzu flach.

Schließlich geht es um einen Akt der Befreiung- zur schöpferischen Phantasie, zu etwas ganz anderem, bestenfalls Fremdem -zur Kunst.

Die zufällige Form ist da nur Mittel zum Zweck.

 

Dieser Impuls der Befreiung der Dinge aus den Denkrastern der Gewohnheit und des alltäglichen Gebrauchs, ja von jeglichem Utilitasrismus - und sei es nur zum Nutzen der ästhetischen Kontemplation - hat seinen historischen Ort. Er liegt im Zürcher Cabaret Voltaire, der Schmiede des Dadaismus und in den verqualmten Salons der Surrealisten.Der Impuls, der zu Bildern wie diesen führte, wurzelt letztlich in Duchamps "Fontaine", in seinen Einrädern und Flaschentrocknern.

Wie wir die Dinge sehen und ob wir ihnen den Charakter eines Kunstwerks zubilligen, hängt nicht an ihrer ursprünglichen Funktion, sondern allein an Kontext und Kombinatorik.Im gemalten Abbild liegen die Dinge noch ein wenig anders. Hier wird den Blick ganz unwillkürlich auf die Textur gelenkt - und diese Malerei will selbstverständlich alles andere als die fotografische Exaktheit eines Trompe l`oeil. Als brächte uns die Detailschärfe den Dingen wirklich nähern! Nein, diese Bilder wollen nicht mehr sein als Malerei. Wenn sie von etwas erzählen, dann vom Prozess ihrer Genese, die spontan, rasch und intuitiv vonstatten geht. Ihre malerische Delikatesse liegt insbesondere in der lebendigen Textur.

 

Das Auge isst mit, erst recht auf jener textilen Tafel, die Bereznicki mit sicherem Gespür für den "genius loci" vom Bühnenpodest für uns ausbreitet, besser aufrollt, denn die herrlich heterogenen Speisen sind auf schwarz-gestreiften Marquisen-Stoff gemalt. Mögen ihre hybriden Ding-Amalgame offensiv auf uns zuspringen, präsentieren sich ihre nicht unbedingt leicht konsumierbaren Speisen als veritables Seh-Büffet. Ein jeder suche sich das ihm Gemässe, stelle sich seinen Teller in aller Ungezwungenheit zusammen. Darf es vielleicht ein - möglicherweise sakrales - Schafsköpfchen sein, eine farbsatte Schwarzwälder Kirschtorte oder der gestauchte Schädel aus Hans Holbeins berühmten Konvexspiegel?

Sie sehen schon: Mit assoziativen Angeboten aus den reich gefüllten Vorratskammern von Religion und Kunstgeschichte wird hier nicht gespart. Statements, Sehhilfen, gar semantische Verweise bleiben uns bei diesem Augenschmaus erspart. Wir stehen - mit oder ohne Appetit - vor einem scheinbar endlos laufenden Band mit nicht nur kulinarischen Reizen,und haben, wie im Leben, die Qual der Wahl. Niemand sagt uns, wie im Leben, ob die Auswahl letztlich Sinn macht. Bezüge herzustellen, die über nur optische Analogien hinausgehen, macht jedenfalls Freude und hat - wie jedes Spiel - frei nach Schiller, seinen Sinn in sich. Vor allem entspricht die Suche nach sinnfälliger Verknüpfung einem menschlichen Urbedürfnis. Mit dem "puren Zufall" möchte sich niemand von uns anfreunden, und jeder gute Psychologe könnte ihnen nachweisen, ob und in wiefern in dieser Auswahl ein Innen-Portrait der Künstlerin vorliegt. Nur, fragen sollten wir ihn nicht.

Den Vorwurf Schopenhauers müssen sich diese durchaus zeitgemässen Stillleben jedenfalls nicht gefallen lassen: Sie seien für die Sinneslust ein Stachel, ein "gefundenes Fressen" für jenen allumfassenden "Willen", der an der wahren Kunst des interesselosen Wohlgefallens ja keinen Anteil haben soll. Oder überfällt Sie angesichts der gekreuzten Knochen, der Austern und Spiegeleiner, bei aller malerischen Delikatesse, ein besonderer Appetit? Hieß es dereinst apodiktisch aus väterlichem Mund: "Füße vom Tisch!" haben diese, wie die bandagierten Hände, hier ganz offensichtlich etwas zu suchen.Fragt sich nur, was. Von den üppigen Tafelfreuden eines Veronese ist dieses "postmoderne Büffet" allemal mehr als fünf Jahrhunderte entfernt.

 

Auch einem anderen klassischen Genre flösst die Malerin neues Leben ein: Dem guten alten Portrait. Tatsächlich ein sehr altes Genre - denken wir an die spätantiken ägyptischen Mumienportraits. Noch früher war das gemeisselte Portrait. So alt aber denn auch nicht, weit jünger jedenfalls als die Kunst, sehen wir in den neolithischen Handabdrücke an den Höhlenwänden nicht den Versuch, eine persönliches Erinnerungszeichen zu hinterlassen. Erst mit der Entwicklung des Bewusstseins für das einzigartige, unverwechselbare Individuums machte sich die Portraitkunst gelten und löste sich aus dem Bann der Idealisierung. Dann war es das Ziel des Portraitisten, zum je eigenen Wesen des oder der Dargestellten, zur "persona" vorzudringen. Dass sich dieses Wort von der Theatermaske ableitet, steht auf einem anderen Blatt. Noch eine Frage, meine Damen und Herren: Ist nicht jedes Portrait eine Idealisierung, allein weil es dem Dargestellten Wert verleiht? Hand aufs Herz: Wer sähe nicht gern sein Konterfei in der (überregionalen) Zeitung? Selbst Andy Warhols´Multiples der Stars und Gekrönten, haben den Glanz von Ikonen. Auch die in der Regel bekannten Gesichter von Elisabeth Bereznicki glänzen. Deutlich erkennbar, dass hier mit Sympathie gemalt wurde - von handwerklicher Bravour ganz zu schweigen. Die Auswahl ist keineswegs beliebig Jeder der Dargestellten nötigt der Malerin Respekt, zuweilen auch Bewunderung ab. Geht es bei dieser Auswahl doch nicht primär um äussere Schönheit, sondern um das dahinter stehende Werk, zu dem sie eine Beziehung hat: Die Musik vom Amy Winehouse, die androgyne Schauspielkunst der Tila Swinton, Angelina Jolies humanitäres Engagement. Das Gesicht bleibt unbeschädigt, wird nicht ironisch desavouiert, bleibt das der Ikone. Ein Dahinter aber, der Wille etwa mit psychologisierendem Pinsel in verborgene Seelenschichten vorzudringen und diese auszuloten, gibt es nicht. Kein Mehr als Malerei - makellose Oberflächen! Was das Auge irritiert ist vielmehr der Stilbruch im Bild: Kleidung und Accessoires erscheinen mit ihrem pastosem Pinselschwung dem "Face" mitunter den Rang abzulaufen, machen sich beinahe schon ungebührlich wichtig. Abermals erleben wir den Aufstand der Marginalien gegen die flache Allgewalt der Ikone. Vermeintlich totes Material fordert sein Eigenleben. Es ist zugleich das Aufbegehren der abstrakten, puren Malerei gegen die Dominanz des von der Fotografie okkupierten Abbilds. Dieses oft kontrastive Nebeneinander der Stile ist ein Charakteristikum von Bereznickis Malerei. Sie probt den Spagat. Die Macht der Dinge aber wirkt doch immer wieder stärker.

 

Insbesondere ihre Skulpturen können zum Beweis herhalten. In ihnen zeigt sich deutlich, wes Geistes Kind diese Künstlerin ist. Es ist der Geist von Duchamp: Lampen aus verschiedenen Zeiten, die sich zu Leuchtwesen ganz eigener Ordnung formieren, die teils wie außerirdische Flugobjekte wirken, allemal wie Zwitter ihrer gemalten "Kollegen", hybrid auch sie - durchaus im doppelten Wortsinn.

Etwas Nostalgie darf beim Anblick dieser Leuchtobjekte schon mitschwingen, denn in ihnen sind Erinnerungen eingeflochten. Im Verbund wirken sie nur herrlich befremdlich.

 "Klassisch" geradezu und ein klarer Rekurs auf die Surrealisten à la Dali und Oppenheim: Das schwarze Tischchen mit gestapeltem Teegeschirr, das, getragen von einem Arm ohne Körper aus der Wand wächst. Einmal mehr stellt sich hier die Frage, was die Dinge mit uns, mit den Menschen zu tun haben.

Sind sie nur Stellvertreter - pars pro toto - oder brauchen sie uns gar nicht. Haben sie etwa eine geheime Botschaft?

Hören Sie genau hin?

Sie werden vermutlich nichts anderes finden als Kunst.

Und das ist vollauf genug!

 

 

Stefan Tolksdorf    

 

 

Ausstellung                                                                                  14. März 2015

Elisabeth Bereznicki

 

Unsere neue Ausstellung zeigt Malerei von Elisabeth Bereznicki unter dem Titel ‚based on’. Die Künstlerin wurde in Warschau geboren und hat an der dortigen Kunstakademie studiert. Ein Diplom mit Auszeichnung in der Tasche, kam sie 1989 nach Freiburg, um als Dozentin an der PH Malerei zu unterrichten. Ein Stipendium führte sie nach Paris an die Cité des Arts, das sie mit einem längeren Studienaufenthalt verknüpfte. Schon früh fand sie zu ihrer eigenen Bildsprache, die sowohl durch eine plakative Motivwahl besticht, als auch durch eine sinnlich farbige Ausstrahlung ihrer Bilder.

 

Die Arbeiten von Elisabeth Bereznicki gliedern sich in zwei prägnante Werkgruppen, zum Einen die Stillleben, zum Andern die Portraits. Was beide Themen verbindet ist die unbändige Lust am Malen und an der Farbe. Es ist das, was dem Betrachter als Erstes ins Auge springt, die Art der Malerei vermittelt etwas positiv heiteres ohne ins rein Dekorative abzugleiten.

 

Was die Sujets in Bereznickis Bildern betrifft, kommt man nicht umhin, das Genre ‚Stillleben’ im Allgemeinen anzusprechen.

Hatten die Künstler des 17.Jhdts. doch einen ähnlichen Ansatz in der Motivation, Dinge des täglichen Lebens und des häusslichen Umfelds zu Tableaus zu arrangieren, allein um der Raffinesse und Delikatesse der Malerei zu fröhnen.Die Kostbarkeit und Stofflichkeit der Arrangements war einzig dazu da einen Augenschmaus zuzubereiten und die Luxus verwöhnte Kundschaft zufrieden zu stellen. Die Maler kombinierten kostbare Gefässe und Textilien aus edelsten Materialien mit ‚Nature morte’, ephémèren Zugaben aus der Natur, die oft mit allegorischer Bedeutung aufgeladen waren. Bei den Stillleben von Elisabeth Bereznicki ist davon nichts mehr übrig. Schonungslos zeigt sie den banalen Alltagsramsch unserer Zeit, der nach dem Erwerb kurz mal ‚Wichtig’ war um bald darauf auf dem Flohmarkt oder Sperrmüll zu landen. Lediglich die grelle Buntheit erinnert noch an den Ursprung ‚Kauf mich, ich mache dich glücklich.’ Doch nicht die Konsumkritik ist Bereznickis Hauptanliegen, es sind die Formen und Farben der Objekte, die sie so arrangiert, dass wahrhaftige Farbexplosionen entstehen.

Hybrid bezeichnet sie die Vorgehensweise, aus einem Sammelsurium von scheinbar bekannten Gegenständen Sujets zu gestalten, die nur noch Form und Farbe sind.  Die Gegenstände als solche interessieren sie nicht. Sie sind zwar bewusst gesammelt und ausgewählt, doch nur um mit ästhetischen Versuchsanordnungen zu spielen und expressive Bild-kompositionen zu kreieren die sie mit flotten Pinselstrichen auf das weisse Trägermaterial setzt. Die Entscheidung den Hintergrund stets weiss zu lassen, stellt die Komposition in einen imaginären Raum und steigert so die künstliche Wirkung.

Im Katalogtext wird ein Bild von Matisse zitiert das in diesem Zusammenhang durchaus seine Berechtigung hat. (Das rote Atelier) Auch Matisse hat Objekte, Möbel, Stoffmuster ihrer Wirklichkeit enthoben, um sie ganz der Farb und Formen Komposition zuzuordnen, die für ihn oberste Priorität hatte. So gesehen hat die Malerei von Elisabeth Bereznicki einen traditionellen Hintergrund, von dem lediglich das Schwelgen in neobarocker Üppigkeit übrig geblieben ist, die selbst vor Buntheit nicht zurückschreckt. Eine skulpturale Entsprechung zu den Kompositionen auf den Bildern sind die Lichtobjekte,

von den wir allerdings nur eines zeigen können. Der spielerische Umgang mit den leuchtenden Fundstücken ist eine Versuchsanordnung mit andern Mitteln, eine heitere Ergänzung zu den Tafelbildern, die Bereznickis Arbeit um eine Facette erweitert.        

 

Den Gegenpol bilden die Portraits, die ganz entschieden auf Erkennbarkeit abzielen. Vor allem bei den prominenten Gesichtern, die sicher jeder Besucher erkennen will, um sein persönliches Aha Erlebnis zu haben. Erkennbarkeit steht bei Portraits hoch im Kurs und mancher Laie macht daran die Qualität eines Bildes fest.  Den Portraits von Elisabeth Bereznicki fehlt bewusst jede Hintergründigkeit, die sie zu Charakterköpfen machen könnten. Die Künstlerin ist nur am Ikonenhaften Abbild interessiert, an Perfektion und Makellosigkeit. Doch eine seltsame Faszination geht von den Portraitierten aus, das Perfekte ist überhöht und übertrifft selbst die Hochglanzfotografie in den Luxusmagazinen. Am ehesten ist eine Verwandt-schaft mit den Portraits des Fotografenduos ‚Pierre und Gilles’ auszumachen, die mit künstlichen Inszenierungen Prominente in Szene setzen. Es mag an der altmeisterlichen Technik liegen, die die Künstlerin für die Textur des Teints anwendet. Die gestisch gemalten Details, wie Haare, Kopfbedeckungen, Schmuckstücke rücken das Bild wieder in die Nähe von gemalten Portraits und geben ihm eine Lebendigkeit die verblüffend ist. Die Portraitierten wirken nicht leblos doch seltsam entrückt, was durch die Freistellung auf dem weissen Untergrund noch unterstützt wird.

 

Lassen Sie sich von der Leichtigkeit dieser Ausstellung inspirieren, entdecken sie das Geheimnis der Dynamik und der Farben, die hier besonders intensiv leuchten.

  

Gérard Ziegler

 

 

Rede zur Ausstellungeröffnung Elisabeth Bereznicki „Il s'agit de bonheur“ E-Werk Freiburg 14. 09. 2007

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Elisabeth,

„Il s'agit de bonheur“ - „es handelt sich um das Glück“. Der Titel der Ausstellung, stellt eine Behauptung auf, die unmittelbar Fragen nach sich zieht: Um welches Glück geht es hier? Um das private Glück? Home Sweet Home?

 

Das Setting der Ausstellung legt diese Vermutung nahe: Ein Tisch mit Früchten, ein Sofa, eine Zimmerpflanze und ein Teppich, verbreiten Wohnzimmeratmosphäre. Hier vorn ist eine Art private „Fotoecke“ eingerichtet, mit Porträts und kleinen Zeichnungen und die Hausherrin im roten Blumenkleid scheint auch anwesend zu sein. Dennoch befinden wir uns unzweifelhaft in einer Ausstellung: der Tisch ist eine Skulptur des Bildhauers Matthias Dämpfle, der Teppich besteht aus den Buchstaben des Ausstellungstitels und die Gastgeberin ist nur ein leeres Kleid. Natürlich haben wir das alles von Anfang an gewusst. Die Künstlerin lässt uns hier keineswegs im Unklaren, sondern inszeniert einen Raum, der von Anfang an als Kunstraum wahrgenommen wird. Folglich sind die Dinge, die sich in diesem Raum befinden Kunstwerke. So viel meinen wir jedenfalls seit Duchamps „Ready Mades“ zu wissen. Und doch bleiben Zweifel: Sind das weiße Sofa der Künstlerin und die Zimmerpflanze nun Einrichtungsgegenstände oder Kunstwerke? Oder andersherum: Sind die Bilder, die hier hängen Kunstwerke oderEinrichtungs-gegenstände? Man ist geneigt zu sagen: Sowohl als auch! Elisabeth Bereznicki interessiert sich genau für diese Schnittstelle, wo Kunst und Leben aufeinander treffen. Dort, wo die Dinge zu Bildern werden und die Bilder zu Dingen. Unseren Umgang mit Kunst und unsere Wahrnehmung von Kunst versucht die Künstlerin mit gezielten Irritationen zu hinterfragen.

 

Hier drüben beispielsweise hängt ein Netz mit Tassen. Es sind jene Tassen, die lange Zeit Hauptmotiv Bildwelt von Bereznicki waren. Die echten Tassen verweisen auf die gemalten Tassen und drehen damit die Beziehung zwischen Urbild und Abbild, Signifikat und Signifikant um: Reales bezeichnet hier Gemaltes.

 

Das Wechseln von einem Aggregatzustand zum Anderen, die Verschränkung verschiedener Darstellungsmodi und Weltaneignungsmodelle ist zentrales Kennzeichen der Arbeiten von Elisabeth Bereznicki. Schrift wird mal als Bedeutungsträger, als Kommentar oder Erläuterung eingesetzt, ein anderes Mal wird sie so sehr gedehnt, gestaucht oder ineinander verwoben, dass sie nur noch als unentzifferbares Ornament wahrgenommen werden kann. Der Betrachter wird Zeuge der Umwandlung von Schrift in Bild. So ist der Satz aus übereinander geschriebenen Buchstaben, der das Porträt von Marcel Duchamp und Pablo Picasso als Liniengeflecht hinterfängt, nicht mehr lesbar. Doch auch wenn wir den Satz entziffern könnten, wir würden ihn nicht verstehen, da er auf polnisch, der Muttersprache der Künstlerin, geschrieben ist. Übersetzt heißt es da: „Das ist Kunst“. Die in Opposition platzierten Künstlerprofile symbolisieren die beiden Pole des von Bereznicki bearbeiteten künstlerischen Feldes ein. Duchamp steht für den konzeptuellen künstlerischen Ansatz, der schließlich in letzter Konsequenz in der Verweigerung Kunst zu produzieren, gipfelte. Picasso dagegen gilt als der Prototyp des Machers. Sein Schaffensdrang, führte ihn immer wieder zu neuen formalen Lösungen.

 

Er selbst beschrieb dieses Prinzip einmal so:

"Wenn man ganz genau weiß, was man machen will, wozu soll man es dann überhaupt noch machen? Da man es ja bereits weiß, ist es ganz ohne Interesse. Besser ist es dann, etwas ganz neues zu machen."

 

Die reflektiert distanzierte Haltung Duchamps und die vitale, schöpferische Kraft Picassos sind beide in der künstlerischen Arbeit von Elisabeth Bereznicki virulent. Distanz und Nähe, das Wechseln der Perspektive, die Verschiebung des Standpunkts und das Ausspielen eines reichen Formenvokabulars bestimmen auf unterschiedlichen Ebenen die Arbeitsweise der Künstlerin.

 

Bei einigen Bildern verwendet sie beispielsweise einen gemusterten Stoff als Malgrund und nutzt das vorgegebene Muster, um ein Sofa im Bild darzustellen. Die Abbildung des Sofabezugs und der Sofabezug selbst sind hier deckungsgleich. In der Malweise des auf dem Sofa liegenden männlichen Akts vermeidet Bereznicki eine allzu deskriptive Wiedergabe. Hier geht es weniger um die Charakterisierung des Dargestellten, sondern das Motiv bietet vor allem Anlass für eine delikate Farbmalerei. Schön zu sehen ist dies im Bereich des Bauches, wo sich die Farbe beinahe vom Gegenstand befreit und sich in einzelne Farbflecken auflöst. Etwas weiter unten im Bild entwickelt die Malerin aus der Schneckenform der Sofalehne und einer zusammengerollten Decke eine als Fläche gedachte Farbkomposition aus scharf von einander abgesetzten Farbflächen. Die Illusion des Bildraums wird an diesen Stellen gestört, Malerei zeigt sich als das, was sie ihrem Wesen nach ist: Organisation von Farbe auf Fläche.

 

Betrachten wir die anderen Bilder, so wird schnell klar, dass Bereznicki über ein reiches Repertoire von Ausdrucksmöglichkeiten verfügt. Klar abgegrenzte Farbfelder treffen auf gestische Malerei und grafische Elemente werden mit perspektivischer Raumtiefe verknüpft. Es geht hier nicht um Reduktion, sondern im Gegenteil, um die Verästelung verschiedener Stränge künstlerischen Arbeitens. Unterschiedliche Themen werden angeschnitten, durchgespielt, um dann wieder neu anzusetzen. So entstehen verschiedene Serien: beispielsweise die männlichen Akte, Innenräume oder Selbstporträts. Im Zentrum steht die Künstlerin, die Person. Hier laufen alle Fäden zusammen. Sie orchestriert die verschiedenen Themen, Techniken und Materialien zu einer Gesamtinszenierung. Ihr Vorgehen ähnelt dabei der Methode der Collage. So wie sie in ihren Bildern verschiedene Darstellungsmodi miteineander kombiniert, arrangiert sie in der Ausstellung ihre Arbeiten und stellt dadurch wieder neue Bezüge her. Beispielsweise platziert sie kleine Zeichnungen von Händen, wie Satzzeichen zwischen die großen Bilder. Diese an Gebärdensprache erinnernde Handzeichen scheinen Rezeptionsanweisungen für den Betrachter vor zu geben. Wie etwa: „Stehen bleiben! – Weiter gehen! – Nach rechts schauen!“ und persiflieren in gewisser Weise, den Autoritätsanspruch von Ausstellungsbeschilderungen. Mit Witz und Ironie beleuchtet Bereznicki auch ihre eigene Rolle als Künstlerin und Frau: Kopflos stellt sie sich im Stile eines Frauenzeitschriftencovers dar: „Heute, ist mir der Kopf noch nicht serviert worden“ heißt es dort.

 

Vis à vis, blickt uns ein Affe, der sich auf einen Totenschädel stützt, nachdenklich an. Es scheint, als sei er in der Reflexion über seine eigene Sterblichkeit versunken. Doch gerade das Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit, zeichnet das Menschensein gegenüber der Affenexistenz aus. Doch hier mahnt der  Affe, der nicht erst seit Immendorf als Alter Ego des Künstlers gilt: „halt Maß, denk ans Ende, folge der Natur“.

 

 

Nikolaus Bischoff